„Beide Brüste müssen ab“
In „14/09 Tagebuch einer Genesung“ hält Natalie Kriwy den Verlauf ihrer Brustkrebserkrankung in Bildern fest.
Die Fotografin Natalie Kriwy hat Brustkrebs. In „14/09 Tagebuch einer Genesung“ hält sie den Verlauf ihrer Krankheit in Bildern und Tagebuchnotizen fest. Ein beeindruckendes Buch.
Am 17. Oktober 2011 sitzt Natalie Kriwy vor einer Kamera und zieht an ihren Haaren. „Die meisten sind einfach so rausgegangen, ohne Schmerzen“, schreibt sie wenig später in ihr Tagebuch. Nur an einigen wenigen Stellen steckten die Haarwurzeln noch fest in der Kopfhaut – „und dort tat es ganz schön weh.“
Die Fotografin Natalie Kriwy ist 32, als sie die Diagnose Brustkrebs bekommt. Selbstporträts hat die junge Frau vorher nie gemacht, genauso wenig wie ernsthaft Tagebuch geführt. Nun tut sie beides. In den folgenden zwei Jahren wird sie über 6000 Fotos schießen und mehrere hundert Seiten vollschreiben – ihre Art, sich der Krankheit zu stellen und sich das eigene Leben nicht aus der Hand nehmen zu lassen.
Ausgefallene Wimpern und Krustenreste
Das Buch „14/09 Tagebuch einer Genesung“ ist eine sorgfältig kuratierte Auswahl, ein Extrakt der tagtäglichen, detaillierten Dokumentation ihres Krankheitsverlaufs. Es zeigt eine Frau, die beschlossen hat, dem Krebs und den schmerzhaften Veränderungen ihres Körpers nicht mit Angst, sondern mit Neugier und Optimismus zu begegnen.
Doch als sie durch den Gentest erfährt, dass sie Trägerin des BRCA1-Gens ist, heißt es nur noch „Scheiße“. In diesem Moment steht für sie fest: „Beide Brüste müssen ab.“ Mit dieser Genmutation liegt ihr Risiko, nach der Chemo erneut an Brustkrebs zu erkranken, bei bis zu 75 Prozent.
Um dem Krebs zu zeigen, wer Herr im Haus ist, führt Kriwy nicht nur minutiös Tagebuch und hält in Bildern fest, was mit ihrem Körper passiert. Mehr noch: Ausgefallene Haare, Wimpern und Augenbrauen, Krustenreste von den Narben, verbrauchte Spritzen, benutzte Pflaster und die Kompressions-BHs, die sie nach der Mastektomie tragen muss – Kriwy sammelt alles, was es in Bezug auf ihre Krankheit zu sammeln gibt, und fotografiert es.
Wieder alleine joggen können
Die Bilder und die Gedanken, die sie dazu formuliert, gehen unter die Haut. Auf einem Foto sieht man die 32-Jährige halbnackt auf einem Stuhl – den Kopf kahl, mit ernstem Blick. „Das ist mein letztes Porträt mit meiner natürlichen Brust“, schreibt sie daneben. Auf einem anderen Bild sieht man ein feinmaschiges, weißes Netz. Daneben steht nüchtern: „Zwei solche Titannetze wurden mir beim Wiederaufbau der Brüste eingesetzt.“ Da kann man als Leser nur noch schlucken.
Zum Glück sind Kriwys Kraft und ihr Humor ansteckend. Mit assoziativer Lust verwandelt sie den Schrecken in etwas Spielerisches. So beschreibt sie, wie sie beim Pizzaessen plötzlich an ihr Medikamente denkt und sich dabei vorstellt, wie sie ihre Tumorzellen verschlingen. Die wässrig orange-rote Flüssigkeit in ihrem Chemobeutel erinnert sie an Aperol Spritz und als ihr Kopf schließlich kahl ist, lässt sie sich von ihrer Freundin Sophie als Tiger schminken und faucht in die Kamera.
Vom Zeitpunkt ihrer Diagnose bis zur Heilung vergehen gut anderthalb Jahre. Doch damit hört „14/09 Tagebuch einer Genesung“ glücklicherweise nicht auf. Kriwy zeigt auch, wie ihr Körper – so wie sie selbst – sich in den folgenden Monaten von Krankheit und Behandlung erholt. Es sind Bilder, die anderen Betroffenen Mut machen. Anfang 2012 geht sie das erste Mal wieder alleine joggen. Am 24. März 2012 fällt die letzte Kruste ihrer Narbe ab. Auf dem letzten Selbstporträt des Buches sind ihre Haare fast schulterlang nachgewachsen – dunkelbraun, voll und gesund. Darunter steht „Heute geht es mir gut.“
14/09 Tagebuch einer Genesung von Natalie Kriwy ist im März 2016 im Prestel Verlag erschienen und kostet 29,95 Euro.
31. Juli 2017
Fotos: PRESTEL Verlag