„Ich dachte es sei normal, dass eine Brust nicht wächst“
Rebecca hat eine fehlgebildete Brust. Wie sie lernte, damit umzugehen und was Brustprothesen damit zu tun haben.
Rebecca Butcher ist 21 Jahre alt, wohnt in South Yorkshire (Großbritannien) und hat das Poland-Syndrom, eine angeborene Fehlbildung der Brust. Hier erzählt sie uns, wie sie ihren eigenen Weg gefunden hat, mit den ungleichen Brüsten umzugehen und was Instagram und Ausgleichsteile aus Silikon damit zu tun haben.
Von Rebecca Kaye Butcher
Dass meine Brüste irgendwie „anders“ sind, bemerkte ich in der High School. Während meine Freundinnen neue Bikinis und BHs kauften, wollte eine meiner Brüste einfach nicht wachsen. Lange Zeit glaubte ich, dass das eben so ist, dass es normal ist, wenn eine Brust langsamer wächst als die andere. Auch mein Arzt sagte mir: „Du musst Geduld haben.“
Also wartete ich und hoffte, dass ich einfach eines Morgens aufwachen würde und meine Brust wäre „normal“. Natürlich passierte das nicht.
Schließlich entschied ich: Genug ist genug. Im Internet gab ich die Worte „1 breast“ (zu deutsch „1 Brust“) ein – das zu tun, würde ich jedoch niemanden empfehlen, dort sieht man tatsächlich ein paar sehr verstörende Bilder. Ich schaute mir medizinische Fotos an, las Erfahrungsberichte anderer Frauen, bei denen ebenfalls eine Brust kleiner war als die andere und dachte: Das ist genau wie bei mir. Irgendwann stieß ich dann auf das Poland-Syndrom.
Eine Brustrekonstruktion lehnte ich ab
Mit diesem „Befund“ ging ich zu meinem Arzt. Von dem Poland-Syndrom hatte er noch nie gehört. Also begann er selbst zu recherchieren. Am Ende seiner Nachforschungen stimmte er mir zu. Dann folgten weitere Arztbesuche und Untersuchungen. Mit der Zeit gewöhnte ich mich auch an das erschrockene „Wow“, das fast jeder neue Arzt ausstieß, wenn ich ihm meine Brust das erste Mal zeigte. Dann wurde ich endlich ins Brustzentrum überwiesen.
Dort empfahlen mir die Breast Care Nurses einen sogenannten „Prothesen-BH“, also einen BH, den normalerweise Frauen tragen, deren Brust aufgrund einer Brustkrebserkrankung abgenommen werden musste. Manche Ärzte versuchten auch, mich von einer chirurgischen Brustrekonstruktion zu überzeugen. Das lehnte ich jedoch höflich ab – ich bin schließlich nicht krank. So ist mein Körper nun mal, so wurde ich geboren!
Im Sanitätshaus nahm dann eine Fachkraft meine Maße und gab mir einen Brustausgleich von Amoena. Mit der Silikoneinlage konnte ich endlich normale BHs tragen, enge T-Shirts, sogar Bikinis – ohne dass jemandem aufgefallen wäre, dass ich nur eine Brust habe. Ach ja, wenn ich sage: „Ich habe nur eine Brust“, meine ich natürlich nicht, dass ich nur eine Brust habe, die direkt in der Mitte sitzt. Nein, ich habe zwei Brustwarzen und die „normale“ – also größere – Brust sitzt auch an der richtigen Stelle, nur ist die andere halt kleiner und anders geformt, da ihr der Brustmuskel und Teile des Drüsengewebes fehlen. Das Poland-Syndrom kann übrigens auch Hände und Füße betreffen, was bei mir zum Glück nicht der Fall ist.
Meine Instagram-Bilder sollen anderen Frauen Mut machen
Als ich 18 und gerade mit der High School fertig war, bekam auch mein Instagram-Profil (@beccabutcherx) mehr und mehr Aufmerksamkeit. Ich wusste, irgendwann wird irgendjemand bemerken, dass ich zwei unterschiedlich große Brüste habe und fragen, warum ich immer Rollkragenpullover trage. Also entschied ich mich, ganz offen mit dem Poland-Syndrom umzugehen und es selbst anzusprechen.
Tatsächlich bekam ich am Ende unglaublich viele Likes und aufbauende Kommentare. Über den Hashtag #polandsyndrome fanden mich auch andere Betroffene. Mit ihnen konnte ich meine Erfahrungen teilen.
Ich hoffe, dass meine Bilder anderen Frauen Mut machen, selbstbewusst zu ihren Körpern zu stehen und sich in ihrer eigenen Haut wohlzufühlen. Von all den photogeshoppten Models der Modemagazine sollte man sich nicht verunsichern lassen.
Das Poland-Syndrom
Das Poland-Syndrom ist eine angeborene Fehlbildung, die nur auf einer Körperseite auftritt. Die unterschiedlich stark ausgeprägte Anomalie kann die Brustmuskeln, die Brustdrüse, die Rippen, die Schultermuskeln, die Wirbelsäule, den Arm, die Hand und/oder die Finger betreffen. Manchmal tritt das Poland-Syndrom auch an Nieren, Herz und/oder Genitalien auf. Wie die Erkrankung behandelt wird, hängt davon ab, welches Körperteil beziehungsweise Organ betroffen ist. Das Poland-Syndrom kommt bei Männern in der Regel häufiger vor als bei Frauen. Als Ursache vermuten Mediziner Durchblutungsstörungen während der Schwangerschaft. Erstmals beschrieben wurde die Erkrankung 1841 von dem englischen Arzt Alfred Poland.
Fotos: privat
12. April 2018