Mit Achtsamkeit raus aus den Grübeleien
Achtsamkeitsübungen können Frauen mit Brustkrebs gegen Ängste und bei Stress helfen – während der Therapie, aber auch danach.
Achtsamkeitstrainings werden mittlerweile als Ergänzung der Behandlung vieler Krankheiten eingesetzt. Aber auch Frauen, die die Brustkrebstherapie bereits hinter sich haben, können Achtsamkeitsübungen helfen, Ängste und Stress zu überwinden.
Hanna H. steht in ihrer Küche. Die Diagnose Brustkrebs ist nun ein Jahr her, die Behandlung seit mehreren Monaten abgeschlossen. Am nächsten Tag um 11 Uhr hat sie einen Termin zur Nachsorge. Denkt sie daran, kommt Angst hoch. Das Herz pocht, im Bauch macht sich Übelkeit breit. Was, wenn da ein Rezidiv ist, wenn die Tumorzellen wieder da sind?
Die Angst ist unvermeidbar. Das kennt sie zur Genüge. Dennoch ist heute etwas anders als früher: Sie weiß, wie sie ihr Gedankenkarussell im Griff halten kann. Tief durchatmen. „Jetzt und hier tue ich nur eines“, sagt sie sich: „Ich trinke meinen frischen, heißen Kaffee.“ Die Tasse zwischen den Händen, schaut sie aus dem Fenster: Ja, draußen scheint die Sonne! Ihre Miene hellt sich auf – der Herzschlag beruhigt sich.
Auch wenn diese Geschichte eine fiktive ist, gibt es viele Frauen, die bereits etwas Ähnliches erlebt haben. „Genau das ist Achtsamkeit“, sagt Janine Wirkner, Verhaltenstherapeutin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Greifswald: „Sich auf die Gegenwart zu konzentrieren, die eigenen Gefühle und Gedanken ganz bewusst wahrzunehmen – und sie so anzunehmen, wie sie gerade sind.“
Stressbewältigung durch Achtsamkeit
Ob und wie das Trainieren von Achtsamkeit Frauen mit Brustkrebs helfen kann, will die Wissenschaftlerin gemeinsam mit ihrem Team genauer erforschen. Aus gutem Grund: Zu viele Frauen leiden nach der Brustkrebs-Therapie langfristig unter starker Erschöpfung (Fatigue), sie sind vergesslich und haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. „Dazu kommen Ängste und Depressionen“, so Wirkner. Formen von Angst – das bestätigt auch eine Übersichtsarbeit der University of Leicester, die 2013 im Fachblatt „The Lancet“ erschien – belasten einen Großteil der Krebspatientinnen selbst noch zehn Jahre nach der Therapie.
Ein möglicher und sanfter Weg raus aus den Ängsten kann das Trainieren von Achtsamkeit sein, das bewusste Einlassen auf das Hier und Jetzt. Ursprünglich stammt das Konzept aus dem Buddhismus. Mittlerweile hat sich die Achtsamkeit jedoch auch in der Therapie etabliert. Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) heißt die Methode, die der Molekularbiologe und Medizin-Professor Jon Kabat-Zinn in den späten 1970er Jahren an der University of Massachusetts Medical School in Worcester (USA) auf Grundlage der fernöstlichen Lehre entwickelt hat – zu deutsch: Stressbewältigung durch Achtsamkeit. Das funktioniert offenbar unabhängig von der die Ängste auslösenden Erkrankung.
Dass auch Frauen nach abgeschlossener Brustkrebs-Therapie vom Achtsamkeitstraining profitieren, zeigt eine Untersuchung aus den USA, die 2016 im Fachblatt „Journal of Clinical Oncology“ erschien. Die Forscher hatten 322 ehemalige Brustkrebs-Patientinnen in zwei zufällig zusammengestellte Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe durchlief ein sechswöchiges MBSR-Programm, die andere erhielten die Standardtherapie. Am Ende des Programms ging es den Frauen der Gruppe, die am Achtsamkeitstraining teilgenommen hatten, deutlich besser: Sie hatten weniger Ängste und Depression und fühlten sich nicht mehr so erschöpft und müde.
Zur Person
Studienleiterin Wirkner und ihr Team wollen in ihrer Untersuchung, die unter anderem von der Stiftung "Betroffen" unterstützt wird, noch einen Schritt weiter gehen und auch mögliche neuropsychologische Veränderungen erfassen. In ihrem Achtsamkeitsprogramm sollen die Teilnehmerinnen lernen, das Hier und Jetzt bewusst wahr- und anzunehmen, und auf ihre beängstigenden Gedanken anders zu reagieren. Im Fachjargon heißt das, die Gedanken von den gelernten Reaktionsmustern zu entkoppeln.
„Bekommen Patientinnen beispielsweise plötzlich Kopfschmerzen“, erklärt Therapeutin Wirkner, „denken sie vielleicht: Ich habe Hirnmetastasen!“ Wichtig sei hier, den Gedanken als solchen zu identifizieren und sich bewusst zu machen, dass es sich bei ihm um eine Befürchtung handelt, nicht um eine Tatsache. Auf diese Weise können die Frauen sich von der Angst lösen und bleiben handlungsfähig. "Denn Kopfschmerzen sind in erster Linie Kopfschmerzen“, so Wirkner.
Um zu verhindern, dass die Frauen ihre situativen Ängste in die Zukunft projizieren oder sich in Grübeleien über die Vergangenheit verlieren, beziehen die Forscher der Universität Greifswald auch Erkenntnisse der Verhaltenstherapie in das Programm mit ein: Das Training basiert auf dem Achtsamkeitsmodul der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT).
Meditation verändert das Gehirn
„Be effective“, hat die US-amerikanische Psychologin und DBT-Begründerin Marsha M. Linehan es formuliert: „Sei wirkungsvoll.“ Denn das fortwährende Üben der Wahrnehmung und das Beobachten der Umwelt und der eigenen Gedanken schult das Gehirn darin, automatisierte Gedanken als solche zu erkennen – und „Abstand“ davon gewinnen zu können. „Dieser Abstand kann den Gedanken viel von ihrer zerstörerischen Kraft nehmen“, so Wirkner.
Eine Studie, die 2011 im Fachblatt „Psychiatry Research: Neuroimaging“ erschien, zeigt: Durch Achtsamkeits-Training nimmt im Hippocampus, der unter anderem für unser Gedächtnis zuständig ist, die Dichte an grauer Substanz zu. Mit einer erhöhten Konzentration der grauen Substanz verbessern sich auch die kognitiven Fähigkeiten. Eine Untersuchung des Anvesana Research Laboratory an der Svyasa Yoga University in Bangalore (Indien) aus dem Jahr 2014 zeigte außerdem, dass die vorderen Teile der Hirnrinde (präfrontaler Kortex) während und auch nach einer Meditation stärker durchblutet werden – also genau jene Areale, mit denen wir auch unsere Gefühle regulieren.
Wirkner und ihr Team stehen mit ihrer Studie noch relativ am Anfang. Noch haben nur wenige Frauen das Achtsamkeitstraining durchlaufen – die allerdings scheinen davon zu profitieren. Keine Überraschung für Forscherin Wirkner: „Unangenehme Gefühle, die man zulässt, verlieren mit der Zeit an Intensität“, sagt sie, „und irgendwann lösen sie sich von selbst auf.“
Eine kleine Geschichte zur Achtsamkeit
Einige Schüler fragen ihren Zen-Meister warum er so zufrieden und glücklich ist:
Der Zen-Meister antwortet: „Wenn ich sitze, dann sitze ich, wenn ich stehe, dann stehe ich, wenn ich gehe, dann gehe ich...“
„Das tun wir auch, antworteten seine Schüler, aber was machst du darüber hinaus?“ fragten sie erneut.
Der Meister erwiderte: „Wenn ich sitze, dann sitze ich, wenn ich stehe, dann stehe ich, wenn ich ... “
Wieder sagten seine Schüler: „Aber das tun wir doch auch, Meister!“
Er aber sagte zu seinen Schülern: „Nein – wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon, wenn ihr steht, dann lauft ihr schon, wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel.“
Hinweis: Kursangebote zum Thema Achtsamkeit sowie weitere Informationen erhalten Sie auf der Homepage des MBSR-MBCT Verbandes. Zum Thema gibt es auch zahlreiche Bücher.
- „Achtsamkeit – Entscheidung für einen neuen Weg“ von Alois Friedrich Burkhard und Juliane Stern, Schattauer, 2015
- „Achtsamkeit für Anfänger“ von Jon Kabat-Zinn, Arbor Verlag, 2013
- „Achtsamkeit und Krebs – Hilfen zur emotionalen und mentalen Bewältigung von Krebs“ von Katja Geuenich, Schattauer, 2013
- „Das Einmaleins der Achtsamkeit: Vom sorgsamen Umgang mit alltäglichen Gefühlen“ von Jessica Wilker, Herder Verlag, 2011
19. April 2018
Foto: A.L./Unsplash