„Superbequem und trotzdem edel“
Melanie Zimmer und Birgit Middelmann sind Designerinnen bei Amoena. Im Interview geben sie Einblicke in ihre Arbeit.
Melanie Zimmer und Birgit Middelmann haben lange Zeit für den Unterwäschehersteller Triumph gearbeitet. Heute entwerfen sie bei Amoena BHs für Frauen, die Brustprothesen oder Ausgleichsteile tragen. Zimmer ist für das Design zuständig, Middelmann für die technische Umsetzung. Im Interview geben die beiden Einblicke in ihre Arbeit.
Redaktion: Was unterscheidet einen speziellen Prothesen-BH von einem Standard-BH?
Birgit Middelmann: Wichtig ist, dass unsere BHs der Prothese einen guten Halt geben und dass die Prothese nicht aus dem Cup herausragt. Deshalb sind die Seitenteile und der Mittelsteg, also die Verbindung zwischen den beiden Cups etwas höher und die Träger sind etwas breiter als bei gewöhnlichen BHs. Außerdem haben alle Amoena BHs eine eingenähte Tasche im Cup, in die die Brustprothese eingelegt werden kann.
Melanie Zimmer: Der besondere Anspruch liegt für mich darin, Funktion mit gutem Design zu verbinden und brustoperierten Frauen die Möglichkeit zu geben, genauso schöne Unterwäsche wie vor der Brustkrebserkrankung tragen zu können. Zudem ist Amoena ein internationales Unternehmen. Unsere Kollektionen müssen nicht nur Frauen bei uns gefallen, sondern ebenso in Frankreich, Skandinavien, den USA oder Japan.
Was erwartet denn eine Französin im Gegensatz zu einer Deutschen?
MZ: Es klingt wie ein Klischee, aber in der Regel legen Französinnen mehr Wert auf Mode; ihre Dessous dürfen auch mal verführerisch sein oder etwas verspielt. In Deutschland achten Frauen überwiegend auf Funktionalität. Skandinavierinnen mögen es vor allem bequem und Engländerinnen flippig und ausgefallen.
Epithesen-BHs nicht nur für Frauen mit Brustprothesen
Woher kommen diese Unterschiede?
BM: Mode ist immer eine Frage des Geschmacks. Die Erwartungen in den einzelnen Ländern sind traditionell unterschiedlich geprägt. Bei Epithesen-BHs spielen jedoch wie bei anderen Dessous auch, der Ort und das Umfeld des Einkaufs eine große Rolle. Frankreich ist beispielsweise eines der wenigen Länder, in dem Spezial-BHs für Brustprothesen-Trägerinnen nicht nur in Sanitätsfachgeschäften und – eingeschränkt – Krankenhäusern erhältlich sind, sondern auch in normalen Kaufhäusern und Boutiquen. Das beeinflusst sicherlich das Einkaufsverhalten.
MZ: Logischerweise werden die BHs dort nicht nur als Hilfsmittel wahrgenommen, sondern vor allem als schöne Wäsche. Und das sind sie ja auch.
Die ersten Büstenhalter wurden vor gut 100 Jahren erfunden, der erste Prothesen-BH kam Mitte der 1970er auf den Markt. Bei Amoena bringen Sie alle sechs Monate eine neue Kollektion heraus. Woher nehmen Sie Ihre Ideen?
MZ: Mein Problem ist nicht, dass mir die Ideen ausgehen, sondern es ist eher so, dass ich viel zu viele habe. Um zu wissen, was gerade angesagt ist, besuche ich mindestens einmal im Jahr die „Interfilière“ in Paris, eine Fachmesse, auf der die neuesten Stoffe und Materialien für Dessous und Bademode gezeigt werden. Egal, in welcher Stadt ich bin, ob in London, New York oder Stockholm: Ich gehe dort in gute Boutiquen und schaue mir an, was gerade en vogue ist, was sich verändert.
Haben Sie einen Lieblings-BH?
MZ: Den Aurelie zum Beispiel ...
BM: Ja, der ist toll ... Die ganze Serie ist sehr gelungen!
MZ: Das Modell war bereits nach wenigen Wochen in den Geschäften ausverkauft.
BM: Die Materialien, die wir für den Aurelie verwenden, sind alle sehr leicht und elastisch. Die Spitze wird mit einem feinen Jaquard kombiniert – daraus ergibt sich ein zartes Muster, das an eine Perlenkette erinnert. Er ist superbequem und sieht trotzdem edel aus.
Tragen Sie selbst Prothesen-BHs?
MZ: Na klar. Die integrierten Taschen stören beim Tragen ja nicht. Abgesehen davon merke ich nur so, ob der BH auch wirklich richtig sitzt, ob die Materialien angenehm sind und nichts einschneidet oder drückt. Meine Schwester trägt mittlerweile auch Amoena Unterwäsche. Sie benötigt ebenfalls keine Epithese, aber ihr gefallen unsere BHs einfach gut.
BM: Für das richtige Fitting, also die Anprobe und die Abnahme der Passform, arbeiten wir immer mit brustoperierten Models. Letztendlich können nur sie feststellen, ob ein BH die Prothese auch richtig hält.
Frauen mit Brustkrebs werden zunehmend brusterhaltend operiert
Gibt es beim Design eines Epithesen-BHs Einschränkungen?
MZ: Definitiv. Transparente Stoffe am Cup sind nicht möglich, da sonst die Prothese durchscheint. Damit wird der Farbunterschied zur Haut zu groß – insbesondere wenn die Kundin nur auf einer Seite eine Epithese trägt. Es funktionieren auch nicht alle Schnittformen. Balconette-BHs etwa, bei denen die Körbchen sehr tief geschnitten und die Träger sehr weit seitlich angebracht sind, können wir nicht anbieten, da die Cupform immer der Prothese angepasst wird. Außerdem haben unsere BHs einen höheren Mittelsteg zwischen den Cups.
BM: Wobei wir in Zukunft vielleicht auch Modelle mit niedrigerem Steg produzieren können.
MZ: Stimmt.
Warum das?
BM: Weil es immer mehr Frauen gibt, die brusterhaltend operiert werden, oder bei denen „nur“ ein Teil der Brust abgenommen werden muss – der Brustansatz bleibt also erhalten. Die Frauen können dann kleinere Ausgleichsteile nutzen, um ein schönes Dekolleté zu formen.
Sind Sie eigentlich schon mal mit einem Entwurf gescheitert?
MZ: Nein, zum Glück noch nicht. Ich habe ein gutes technisches Verständnis, ohne das die Design-Arbeit schwierig ist. Vor allem aber arbeiten Birgit und ich sehr eng zusammen. Bei der Entwicklung und Ideenfindung stimme ich mich von Anfang an mit ihr ab.
Woran arbeiten Sie zurzeit?
MZ: An einer neuen Produktlinie mit einer speziellen Spitze mit Flockdruck. Das ist eine Spitze, die aussieht wie Samt und sich auch so weich anfühlt. Der Stoff darunter glänzt leicht metallisch und wirkt unheimlich luxuriös. Vielleicht wird das der nächste Aurelie.
29. November 2017
Fotos: Tobias Gratz