Nachgefragt: Warum fallen die Haare durch die Chemotherapie aus?
Bei der Chemo schlagen Zytostatika auf die Haarwurzeln. Die Folgen erklärt ein Onkologe in der Reihe „Nachgefragt“.
Werden Frauen mit Brustkrebs mit Zytostatika behandelt, fallen ihnen oft die Haare aus. Warum das so ist und wann der Haarausfall beginnt, erklärt Andreas Hartkopf, Onkologe der Universitäts-Frauenklinik Tübingen.
Viele Frauen mit Brustkrebs erhalten vor oder nach der Operation eine Chemotherapie. Bei dieser Behandlung fallen oft die Haare aus, sie werden brüchig, lassen sich mitunter einzeln aus der Kopfhaut ziehen. Aber woran liegt das? Im ersten Teil unserer Reihe „Nachgefragt“ fragen wir:
Warum kommt es während der Chemotherapie zum Haarausfall?
Rede und Antwort steht Andreas Hartkopf, Leiter der Abteilung konservative und translationale Gynäkoonkologie an der Universitäts-Frauenklinik Tübingen und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Senologie.
„Verantwortlich für den Haarausfall sind die Medikamente, die die Patientinnen während der Chemotherapie bekommen, sogenannte Zytostatika“, erklärt der Onkologe: „Sie hemmen die Zellteilung und verhindern, dass der Krebs weiter wächst und streut.“ Daher auch ihr Name: Zytostatika ist griechisch (Cyto = Zelle und statik = anhalten) und bedeutet so viel wie „die Zelle anhalten“.
Das Problem: Chemotherapeutika wirken unspezifisch, können also nicht zwischen gesunden und kranken Zellen unterscheiden. Daher unterbrechen sie auch die Zellteilung der Haarwurzelzellen. Um zu verstehen, wie das funktioniert, schauen wir uns den Lebenszyklus unserer Zellen genauer an.
Unser „Nachgefragt“-Experte
Kann eine bestimmte Diät die Entstehung von Krebs verhindern und wie verändert sich die Brust nach einer brusterhaltenden Therapie?
Diesen und anderen Fragen wollen wir in unserer Reihe „Nachgefragt“ nachgehen. Zu jedem Thema laden wir einen anerkannten Experten ein, der Antworten auf häufig gestellte Fragen gibt.
Unser „Nachgefragt“-Experte zum Thema Haarausfall bei Chemotherapie ist der Facharzt Andreas Hartkopf. Er leitet die konservative und medikamentöse Onkologie an der Universitäts-Frauenklinik Tübingen.
Haben Sie selbst eine Frage? Dann senden Sie gerne eine E-Mail an: redaktion-amoenalife@amoena.com.
Wie funktionieren unsere Zellen?
Welche Aufgabe eine Zelle hat – ob sie etwa Schweiß produzieren oder Haare wachsen lassen soll – bestimmen vor allem die Gene. Diese bestimmen ebenso, wie oft sie sich teilt, wann sie wächst, altert oder stirbt. Krebszellen fehlt dieser „gesunde“ Zyklus. Das heißt: Sie teilen und vermehren sich über die Maßen schnell.
„Zytostatika sind natürliche oder künstliche Zellgifte, die in die Entwicklung von Zellen eingreifen und sie schädigen“, erklärt Onkologe Hartkopf. Kann die Zelle den Schaden nicht reparieren, stirbt sie. Und da die meisten Zytostatika die molekularen Bausteine, also den „Motor“, der Zellteilung angreifen, schädigen sie ganz besonders die Zellen, die sich häufig teilen – also nicht nur die Krebszellen, sondern auch gesunde Zellen wie die von Mundschleimhaut und Haarwurzeln.
Wann beginnt der Haarausfall?
„In der Regel beginnt der Haarausfall etwa 10 bis 14 Tage nach der ersten Behandlung“, so Hartkopf, „also relativ schnell.“ Er empfiehlt seinen Patientinnen und Patienten daher, sich bereits vor Beginn der Chemotherapie auf den Haarausfall vorzubereiten und sich – wenn gewünscht – rechtzeitig um einen Zweithaarspezialisten zu kümmern.
Wie stark die Haare ausfallen, ist unter anderem abhängig von der Art der Chemotherapie und der Dosierung der Zytostatika. „Im Frühstadium werden Tumore meist intensiv mit Zytostatika behandelt“, erklärt der Onkologe. Auf diese Weise will man die Bildung gefährlicher Metastasen verhindern. Hat der Tumor bereits gestreut, geht es in der Regel darum, die weitere Ausbreitung zu stoppen: „In diesem Fall kommen Alternativen zur Chemotherapie oder weniger intensive Zytostatika zum Einsatz“, so Hartkopf.
Nicht jede Krebserkrankung erfordert eine Chemotherapie
„Etwa 80 Prozent der Brustkrebstumore sind hormonsensitiv und erhalten daher eine Hormontherapie. Etwa die Hälfte dieser Tumore wird zusätzlich mit Zytostatika behandelt“, betont Onkologe Hartkopf. Bei der Hormontherapie werden die Haare zwar dünner, fallen aber nur selten aus.Lässt sich der Haarausfall bremsen?
Durch Ernährung oder Sport lässt sich der Haarausfall kaum beeinflussen. Es gibt allerdings spezielle Kühlhauben, die Patientinnen während der Behandlung aufsetzen können.
„Das Kühlen der Kopfhaut sorgt dafür, dass die Gefäße weniger durchblutet werden und die Chemotherapeutika nicht so stark in die Haarzellen eindringen“, erklärt Hartkopf. Vollständig verhindern lässt sich der Haarausfall dadurch allerdings nicht. Auch können nur wenige wissenschaftliche Studien die Wirksamkeit der Therapie eindeutig belegen. Viele Patientinnen empfinden die „Kältekur“ zudem als schmerzhaft. Mit ein Grund, warum viele Kliniken sie nicht anbieten – neben mangelndem Platz und zu hohen Kosten.
Spezielle Shampoos sollen den Haarausfall ebenfalls verzögern. Ihre Wirksamkeit konnte bislang allerdings ebenfalls nicht belegt werden. Patienten müssen solche Produkte daher selbst zahlen.
Wann beginnt das Haar wieder zu wachsen?
„Das geht zum Glück relativ schnell“, weiß Onkologe Hartkopf: „Sobald die Behandlung abgeschlossen ist und die Zytostatika im Körper abgebaut sind – in der Regel dauere das etwa drei Wochen – beginnen die Haarwurzelzellen, sich erneut zu teilen und das Haar wächst nach. Etwa drei Monate nach der letzten Chemotherapie sind die Kopfhaare dann meist schon wieder so lang, dass viele Frauen ohne Perücke auskommen. “ Manche berichteten sogar, dass ihr Haar nach der Chemotherapie etwas voller sei.
Hinweis zu medizinischen Inhalten
Art, Verlauf und Therapie einer Brustkrebserkrankung sind von Frau zu Frau unterschiedlich. Wir bemühen uns, Sie umfassend, sachlich korrekt und verständlich über medizinische Hintergründe zu informieren. Eine Beratung oder Behandlung durch einen Arzt können diese Informationen jedoch nicht ersetzen. Die Informationen können Sie jedoch bei der Vor- oder Nachbereitung eines Arztbesuches unterstützen.
13. November 2017
Fotos:
Gillian Vann/Stocksy
Universitäts-Frauenklinik Tübingen